Interview

mit Sirka Schwartz-Uppendieck

Sirka Schwartz-Uppendieck
Bildrechte Michael Herrschel

Michael Herrschel: Dein musikalisches Programm ist sehr reich: französische romantische Orgelsymphonien gehören ebenso dazu wie klassische Klavierkonzerte, Jazzorgelchoräle, Gospels und Chansons. Überregionale Beachtung finden besonders deine Konzerte mit Neuer Musik und mit Werken von Komponistinnen. Hattest du immer schon Lust, neue und unbekannte Literatur aufzuführen?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Ich habe sie nach und nach für mich entdeckt. Als ich anfing zu studieren, hatte ich erstmal nur mit Leuten Kontakt, die wie ich Ausführende sind – und noch nicht mit Leuten, die komponieren.

Michael Herrschel: Denn im Studium steht Musik der Vergangenheit im Mittelpunkt…

Sirka Schwartz-Uppendieck: Ganz genau. Aber eines Tages lag dann auf meinem Orgelpult ein Stück von Friedhelm Döhl, der damals unser Hochschulrektor war. Und ich dachte mir beim Üben: Rein theoretisch könnte ich ihn ja fragen, was ich gerne für meine Interpretation wissen will…

Michael Herrschel: Hast du’s gemacht?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Damals eben leider nicht! Weil ich zuviel Respekt hatte, und weil ich dachte: Ich muss alleine klarkommen. Erst später habe ich gelernt, wie inspirierend ein Dialog zwischen Musizierenden und Schreibenden sein kann.

Sirka Schwartz-Uppendieck

Michael Herrschel: Inzwischen werden oft neue Stücke für dich komponiert. Wie kommen die Pläne dafür zustande?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Das ist ganz verschieden. Teils entstehen sie im freundschaftlichen Gespräch, auf der Basis langjähriger Vertrautheit, teils klopfe ich bei neuen, unbekannten Leuten an. Wir treffen uns oder telefonieren oder mailen, um uns über unsere künstlerischen Vorstellungen auszutauschen. Die Erfahrungen, die ich dabei mache, die neuen Perspektiven, die sich daraus ergeben, sind mir sehr wertvoll. Es ist ein gutes Miteinander, so wie mit Kolleginnen und Kollegen von der interpretierenden Seite.

Michael Herrschel: Eine vergleichbare Pionierarbeit leistest du auch mit deinen Fürther Komponistinnenkonzerten. Was hat dich zu dieser Veranstaltungsreihe angeregt?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Ich habe immer gerne Bibliotheken durchforstet, auf der Suche nach interessanten Stücken für mich. Und zu Studienzeiten fiel mir irgendwann mal auf, dass unter all den gedruckten Noten praktisch keine Musik von Frauen zu finden war. Durch persönliche Kontakte entdeckte ich später einige spannende Orgelwerke von Komponistinnen der Gegenwart. Die wollte ich gerne aufführen.

Sirka Schwartz-Uppendieck
Bildrechte Sirka Schwartz-Uppendieck

Michael Herrschel: Wann war das?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Im Februar 2000. Das Programm stieß auf so gutes Interesse, dass ich im nächsten Jahr wieder ein Konzert mit Musik von Komponistinnen angeboten habe. So ist die Reihe entstanden.

Michael Herrschel: Was ist das Besondere an den Fürther Komponistinnenkonzerten?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Sie sind immer Gemeinschaftsproduktionen. Jedes Jahr von neuem stelle ich mir eine Ensembleformation zusammen, und wir tauschen uns aus über Stücke, auf die wir Lust haben. Eine Fundgrube dafür ist zum Beispiel das Archiv „Frau und Musik“ in Frankfurt. Gerne frage ich auch direkt bei Komponistinnen an, ob sie etwas für eine bestimmte Besetzung schreiben möchten.

Michael Herrschel: Liegt der Fokus der Programme immer auf zeitgenössischen Komponistinnen?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Am Anfang war es so, ja. Inzwischen verbinde ich am liebsten Altes und Neues. Dank der musikwissenschaftlichen Forschung sind seit den 1980er Jahren nach und nach Werke von Komponistinnen aus früheren Epochen erstmals publiziert worden. Und da finde ich vieles, was mich unmittelbar anspricht und begeistert, genauso wie Neue Musik.

Louise Farrenc
Bildrechte Wikimedia Commons

Michael Herrschel: Nach einer Komponistin des 19. Jahrhunderts hast du auch dein Kammerorchester benannt: das Farrenc Orchester. Welche Rolle spielt die Namensgeberin Louise Farrenc für deine Komponistinnenkonzerte?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Sie ist eine wichtige Wegbereiterin, weil sie als eine der ersten Komponistinnen überhaupt sowohl mit Kammermusik als auch mit Orchesterwerken die öffentliche Bühne betreten hat. Beides, Kammer- und Orchestermusik, gehört für mich zusammen, und darum arbeite ich gerne mit dem Farrenc Orchester in variablen Besetzungen.

Michael Herrschel: Beim Komponistinnenkonzert 2013 war das Farrenc Orchester erstmals zu erleben…

Sirka Schwartz-Uppendieck: …und da habe ich gleich mal besetzungstechnisch die ganze Bandbreite ausgelotet: Am Anfang spielte ich auf der Orgel den „Choral für Elke Mascha Blankenburg“ von Barbara Heller, danach ein konzertantes Werk von Louise Farrenc, und den Abschluss bildete die Uraufführung des Oratoriums „Debora“ von Dorothea Hofmann für Soli, Orchester und Posaunenchor, mit der Sopranistin Monika Teepe als Debora und dem Bassbariton Markus Simon als Barak.

Michael Herrschel: Womit nebenbei das Gerücht widerlegt ist, dass in den Komponistinnenkonzerten ausschließlich Frauen musizieren würden?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Klar, das ist natürlich nicht so. Männer haben von Anfang an gerne mitgewirkt. Schon bei den Kammerkonzerten der ersten Jahre: mit Englischhorn, Waldhorn, Posaune, Violine… und auch mit Anregungen für die Stückauswahl.

Sirka Schwartz-Uppendieck
Bildrechte Sirka Schwartz-Uppendieck

Michael Herrschel: Oft wurde und wird auch heute noch darüber spekuliert, ob Frauen anders komponieren als Männer. Was hältst du davon?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Gar nichts. Es kommt immer auf den einzelnen Menschen an. Jeder und Jede ist einzigartig! So auch in der Arbeit, auch im Komponieren. Wenn ich ein unbekanntes Werk vorspiele und nicht sage, von wem es ist, dann wird niemand feststellen können, ob es von einer Frau oder einem Mann geschrieben wurde.

Michael Herrschel: Leider hat man jahrhundertelang behauptet, dass Frauen kein Talent zum Komponieren hätten…

Sirka Schwartz-Uppendieck: Ja, und ihre Werke wurden entsprechend kaum gefördert. Deshalb sind die Komponistinnenkonzerte wichtig – als ein Aufholen von Informationen, und als frischer Impuls für das musikalische Repertoire.

Sirka Schwartz-Uppendieck
Bildrechte Hans-Ulrich Pschierer

Michael Herrschel: Werden die Komponistinnenkonzerte mehr von Frauen oder Männern besucht?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Es gibt da keine Statistik, aber wenn ich mich nicht täusche, dann nehmen ganz allgemein etwas mehr Frauen an unseren Konzerten hier teil. Auch an denjenigen, bei denen nur Musik von Männern aufgeführt wird.

Michael Herrschel: Wie werden die Komponistinnenkonzerte insgesamt wahrgenommen?

Sirka Schwartz-Uppendieck: Sie fanden von Anfang an eine gute Presseresonanz. Und für das Publikum sind sie inzwischen ein ganz selbstverständlicher Teil unseres Jahresprogramms, genauso wie zum Beispiel das Auferstehungskonzert, die Sommerkonzerte und andere Konzertreihen.

Michael Herrschel: Könnte man sagen: Komponistinnen sind dabei, in der Normalität des Konzertlebens anzukommen?

Sirka Schwartz-Uppendieck
Bildrechte Michael Herrschel

Sirka Schwartz-Uppendieck: Hm, das wäre vielleicht etwas verfrüht. In Fürth haben wir eine kleine Nische geschaffen, und andernorts gibt es auch viele tolle Initiativen. Aber im allgemeinen Konzertleben etabliert sind Komponistinnen nicht. Trotzdem: Die Bereitschaft ist gewachsen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Die grundsätzlichen Vorbehalte, wie ich sie noch in meiner Studienzeit erlebt habe, sind schwächer geworden. Das Ganze ist ein dynamischer Prozess, und ich trage gerne etwas dazu bei. Es macht mir einfach Freude, neugierig zu bleiben und Neugier zu wecken, auch in Zukunft.

Michael Herrschel: 2014 hast du eine neue Initiative gestartet: „Quotenkonzerte“. Was bedeutet das?

Archiv Frau und Musik
Bildrechte Archiv Frau und Musik

Sirka Schwartz-Uppendieck: In diesem Jahr habe ich in allen meinen Konzerten zur Hälfte Musik von Frauen gespielt. Ein Erfolgsrezept, das ich seither oft wiederhole. Es gibt so viele gute Stücke, die ich bekannt machen möchte. Also: Frauenquote 50% – kein Problem!

Weitere Informationen
Musik von Komponistinnen in Fürth – Verzeichnis von über 300 aufgeführten Werken (Übersicht der Komponistinnen in alphabetischer und chronologischer Folge)
Sirka Schwartz-Uppendieck – Eintrag bei FürthWiki, mit Übersicht der uraufgeführten Werke
Sirka Schwartz-Uppendieck – Eintrag bei Wikipedia
Neue Musik in Fürth – Verzeichnis von Uraufführungen in Kirchen des evangelischen und katholischen Dekanats Fürth sowie an externen Spielstätten im Rahmen der Fürther Kirchenmusiktage
Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main
 

Neue Musik unterwegs

Sirka Schwartz-Uppendieck ist vielerorts eine gefragte Uraufführungsinterpretin. Sie interpretierte neue Stücke z.B. von:

Ralf Bauer (*1965)
• KonzerTanz (2010). UA 14. Mai 2010 Fürth (Ehemaliges Modehaus Fiedler, Kunstsalon Fürth). Ralf Bauer (Posaune), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier), Sándor Tóth (Schlagzeug), Sascha Banck (Tanz und Schwarzlichtmalerei), Anne Devries, Sandra Ettling, Silvana Popa, Ingo Schweiger (Tanz)

Volker Felgenhauer (*1965)
• Credo (op. 36, 2008). Text: Hubert Holzmann. UA 19. April 2008 Nürnberg (St. Egidien). Renate Kaschmieder (Mezzosopran), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier), Streichquartett „con fuoco“: Celine Wilke und Matthias Merzbacher (Violinen), Jakub Horácek (Viola), Sibylle Geisler (Violoncello), Volker Felgenhauer (Dirigent)

Bernhard Matthias Hoffmann (*1973)
• L’infinito (2001). Text: Giacomo Leopardi. UA 10. November 2001 München (Himmelfahrtskirche, im Rahmen der 2. Artionale). Susanne Kelling (Mezzosopran), Ludwig Hornung (Violine), Günter Voit (Bassklarinette), Eva Forler und Andrea Sonnberger (Tanz), Sirka Schwartz-Uppendieck (Orgel)

Horst Lohse (*1943)
• Cave cave Dominus videt (2012). Reflexionen zur Madrider Tafel des Hieronymus Bosch. Text: Michael Herrschel. UA 26. Oktober 2012 Erlangen (Neustädter Kirche, im Rahmen des Kongresses „Musik in Kirche und Gemeinde“). Michael Herrschel (Stimme), Sirka Schwartz-Uppendieck (an der Goll-Orgel)

Karola Obermüller (*1977)
• Protuberanzen (2001). UA 10. November 2001 München (Himmelfahrtskirche, im Rahmen der 2. Artionale). Josef Kronwitter (Trompete), Karola Obermüller (E-Violoncello), Eva Forler und Andrea Sonnberger (Tanz), Sirka Schwartz-Uppendieck (Orgel)

Claude Roth (*1961)
• Aus den Préludes à la poésie (~1996/99):
Nr. 1 „Une pente insensible / Va du monde réel à la sphère invisible“ (nach Victor Hugo)
Nr. 3 „Bien loin d’ici“ (nach Charles Baudelaire)
UA 19. Oktober 2012 Rummelsberg (Gemeindesaal). Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier)
• Si tu chantes La Marseillaise (2018). Text: Robert Desnos. UA 14. Juli 2018 Wentorf bei Hamburg (Martin-Luther-Kirche). Michael Herrschel (Stimme), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier)

Lorenz Trottmann (*1992)
• Die neue Wüste (2018, Klavierfassung). Text: Michael Herrschel. UA 17. Mai 2018 Fürth (Stadttheater). Michael Herrschel (Gesang), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier)
• Rosa oder Die versprochene Welt (2019). Texte: Michael Herrschel. UA 15. März 2019 Regensburg (Alumneum, Melanchthonsaal). Michael Herrschel (Gesang), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier)